Kap. 1
- catharinacommichau
- 21. Feb.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Apr.
Heute ist Markt. Also gehst du hin. Wie immer. Egal wie ungern deine Knie ihrer Arbeit auch nachgehen. Egal wie sehr dir der Rücken heute morgen schmerzt. Nichts wird dich daran hindern deinen Weg zu machen. So ist es nun mal, oder? Und jeder Schritt zeigt dir, dass du noch da bist.
Also greifst du nach dem Schlüssel neben der Haustür. Wirfst einen Blick in den Spiegel, der über der Ablage angebracht ist. Erkennst du dich? Ein Gesicht gezeichnet von Falten. Wie ein Blatt Papier das mit der Zeit wieder und wieder in neue Formen gebracht wurde. Und jedes Mal, wenn dein Leben eine andere Form angenommen hat, sind manche Falten geblieben.
In der Ferne rufen die Kirchenglocken zum Sonntagsgebet. Heute ist Markt. Du richtest dich auf, steckst den schmerzenden Rücken durch und greifst zu deinem Gehstock.
Die kleine Wohnung, die du hinter dir lässt, ist still. Sie ist kein lebendiger Ort, der Erinnerungen haltbar macht. Zu schlicht, zu hinreichend. Ohne Liebe zum Detail. Dennoch hast du es geschafft auf den wenigen Quadratmetern etwas wie ein Zuhause zu schaffen. So hast du es dir auch ausgesucht. Hast selbst, für dich, entschieden, dass es so besser ist, praktischer. Näher zum Arzt. Vernünftig. Mit anderen Menschen im Haus. Sinnvoll. Und einen Fahrstuhl gibt es auch. Angemessen.
Aber den hast du noch nie benutzt. Lieber nimmst du die Treppen. Gleich wie lange es dauert und wie sehr dir schon im ersten Stock die Hüfte schmerzt. Trotzdem steigst du alle Stufen selbständig hoch. Bis in den dritten Stock.
Die Luft draußen ist frisch, erfüllt von den erdigen Gerüchen des bevor stehenden Herbstes. Blätter liegen verstreut über dem Gehweg. Vorsichtig, Schritt für Schritt, steigst du den letzten Absatz der Treppe herunter, deine Hand umklammert fest den kalten Stahl des Geländers. Auf dem Gehweg hebst du den Kopf. Heute ist Markt.
Mit festen Schritten gehst du voran, begleitet vom Takt deines Gehstock. Du gehst vorbei an den vielen Häusern und Gärten. In den Einfahrten liegen noch vereinzelt Überbleibsel des Sommers herum. Und so manche Nachbarn haben schon die ersten Herbstdekorationen aufgebaut.
Der Markt erwacht gerade zum Leben, als du ankommst. Die Stände sind schon aufgebaut, die Verkäufer stehen hinter den zu präsentierenden Waren, und vereinzelt sind Menschen
unterwegs. Sie füllen ihre Taschen mit frischem Obst und Gemüse, verweilen hier und dort für ein unbeschwertes Geplauder.
Vorbei an Kisten, in denen die Äpfel in leuchtendem Rot um die Wette prahlen. Da entdeckst du am Ende des Standes eine Schale Himbeeren. Du nimmst sie vorsichtig in die Hand. Riechst du das? Erinnerst du dich? „Unkraut“, hat er sie geschimpft. Und jedes Jahr aufs Neue gefürchtet, dass das unerzogene Gewächs noch das ganze Haus einnehmen wird. Aber du hast nichts gesagt. Hast du ihn doch selbst dabei beobachtet, die er mit Kindlicher Freude jeden Sommer die Beeren gepflückt hat. Und sich die Taschen vollgeladen hat mit seinen Schätzen. Und du? Du hast die Jacke mit Gallseife eingelegt, um die Flecken rauszubekommen.
Weißt du es noch? Wie Die Büsche sich wild durch den Garten gerankt haben. Ungezähmt von euch, oder von sonst jemandem. Über die Jahre haben sie bald den Garten befüllt. Der große , schöne Garten. Mit so viel Platz. Hier macht ihr es euch schön, habt ihr gedacht. Hier können die Kinder spielen.
Aber es gab keine Kinder, oder? Und nur für euch zwei? Ihr habt den Platz nicht gebraucht. Also habt ihr die Büsche wachsen lassen. Eine Verkäuferin preist mit lauter Stimme etwas irgendjemandem an. Du schüttelst deinen Kopf, lächelst. Und dann stellst du die deinen Schatz in deinen Korb.
Du machst deinen Weg an den aufgebarten Ernten vorbei. Packst hier und dort etwas ein. Einen Apfel, zwei Pilze. Kleine Portionen. Denn mehr brauchst du nicht, oder?In deinem Alter gibt es keinen richtigen Hunger mehr. Man isst nicht mehr aus Hunger oder Appetit. Vielmehr isst du heute aus Gewohnheit, das Essen gibt deinem Tag eine Struktur. Allein bereitest du dir kleine Mahlzeiten. Löffel für Löffel isst du in kleinen Portionen, um deine Zeit zu füllen, nicht deinen Magen.
Kaum etwas schmeckt dir noch so intensiv, wie du es erinnerst. Vielleicht ist es die Stille, die dem Essen den Geschmack entzieht. Vielleicht ist es auch normal, dass mit der Zeit auch der Geschmack immer geringer und schwächer wird. Aber du bist hier und kaufst ein.
Langsam harkst du die immer gleiche Einkaufsliste geistig ab. Die Verkäuferin lächelt, als du an die Kasse trittst. Etwas bemitleidendes liegt ihn ihrer höflichen Art, als sie dir hilft deine Einkäufe so zu verstauen, dass du alles sicher mit nach Hause bekommst.
Mit deinen Einkäufen unterm Arm, folgst du erschöpft dem Klopfen von deinem Stock nach Hause. In jedem langsamen Schritt spürst du das Gewicht deiner selbstbestimmten Hilflosigkeit.
Doch als du in die Straße einbiegst, die dich zur Wohnung trägt, hältst du ein Lächeln im Gesicht.
Anmerkung:
Bei diesem Text handelt es sich um einen Ausschnitt aus einer Kollektion mehrerer Geschichten. Bei allen diesen Geschichten liegt ein besonderer Fokus auf deren unterschiedlichen Erzählperspektiven. Der Markt als Schauplatz spielt hierbei im Hintergrund eine verbinden Rolle. Im weiteren Verlauf der einzelnen Texte sollen die Geschichten miteinander verflochten werden.
Nahbar und rührend
Erster